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Gesünder leben?

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Warum Fluchen gesund ist

Fluchen ist in den meisten Situationen unerwünscht und anstössig. Wüste Worte können aber auch Freude ausdrücken und Verbundenheit signalisieren. Eine kleine Ehrenrettung des Schimpfwortes.

Verd……Sch…..! Fluchen kann ein Ventil sein, um Ärger oder Zorn abzuführen. Welche Wirkung ein Schimpfwort auf uns hat, hat viel mit der Sprache zu tun. Fluchen in unserer Muttersprache löst sowohl emotional als auch physiologisch eine viel intensivere Reaktion aus als Kraftausdrücke in Sprachen, die wir erst später gelernt haben. Das liegt wohl daran, dass die emotionale Konnotation eines Fluchwortes in der Kindheit erworben wird. Gleichzeitig gehören Schimpfwörter zu den Begriffen, die grosse Aufmerksamkeit auf sich ziehen und die wir uns besonders gut merken: Kein Wunder also, dass wir aus dem Urlaub gerne ein paar neue norwegische oder slowenische Kraftausdrücke nach Hause bringen.

Wie flucht man richtig?

Die Wirkung liegt nicht einfach in der Bedeutung: So zeigt eine britische Studie, dass ein Euphemismus wie «F-word» (oder zum Beispiel «Scheibe!» auf Deutsch) nicht dieselbe physiologische Reaktion bei den Versuchspersonen auslöst wie das eigentliche Fluchwort – obwohl dessen eigentliche Bedeutung ja allen klar sein dürfte. Wenn fluchen, dann richtig und ohne Beschönigung!

Wie wirkt Fluchen?

An den Buchstaben und Lauten selbst kann es nicht liegen, dass Schimpfwörter viel stärker auf uns wirken als andere Begriffe. So haben sich Forschende zwar schon gefragt, ob die Macht des Fluchens etwas mit kraftvollen, explosiven Konsonanten wie P und T zu tun haben könnte. Doch findet man solche Laute ja auch in unzähligen anderen Begriffen, die nicht denselben Nachhall haben. Gegen eine «Fluchartigkeit» gewisser Buchstaben spricht auch, dass sich im Lauf der Zeit immer wieder ändert, was wir als anstössig empfinden und was nicht. Und dass wir Schimpfwörter in einer fremden Sprache nicht unbedingt auf Anhieb erkennen, sondern erst erlernen müssen.

Woran liegt es dann, dass Fluchen wirkt?

Die gängigste Theorie ist: Die Macht des Fluchens wird schon in der Kindheit angelegt. Wir lernen früh im Leben, dass Fluchwörter mit negativen Folgen einhergehen, werden dafür getadelt oder bestraft. Mit der Zeit löst deshalb schon der Begriff alleine ein ungutes Gefühl aus, ohne dass die Eltern dabeistehen müssten.  Das zeigt, dass es Worte gibt, die mächtiger sind als andere. Fluchen verleiht Macht. Das macht die Wirkung aus.

Wer wüst redet, hält Schmerzen besser stand

Es ist der Klassiker unter den Untersuchungen zum Fluchen: Das Eiskübelexperiment der Psychologen Richard Stephens, John Atkins and Andrew Kingston. Lange glaubte man, dass viel Geschimpfe die Schmerzen eher verstärkt und alles nur noch schlimmer macht. Um das zu überprüfen, forderten die britischen Forscher ein paar Dutzend Studierende an ihrem Institut auf, ihre Hand so lange wie möglich in einen Kübel mit Eiswasser zu halten. Sie stellten fest: Wer dabei kräftig fluchen darf, zieht die Hand nicht etwa früher, sondern später aus dem Kübel als jene, die dabei neutrale Wörter aussprechen. Je übler übrigens das Wort war, desto grösser die Wirkung. Aber: Je häufiger jemand im Alltag fluchte, desto weniger änderte sich im Experiment seine Schmerztoleranz.

Fluchen konnte in der Studie sowohl die Schmerzgrenze erhöhen als auch die Schmerzwahrnehmung senken. Ersteres wurde mit dem Zeitpunkt erfasst, zu dem jemand die Hand aus dem Wasser zog. Für Letzteres war ausschlaggebend, als wie schmerzhaft die Versuchspersonen das Experiment insgesamt beurteilten. Die Forscher untersuchten auch, ob die lindernde Wirkung vielleicht einfach daher rührte, dass das Fluchen von den Schmerzen ablenkte.

Nur noch den ver… Sch…berg hoch!

Fluchen kann auch zu mehr Durchhaltevermögen und Kraft verhelfen. In einer anderen Studie haben Richard Stephens und sein Team diverse Personen auf einem Hometrainer strampeln und einen sogenannten Handgrip-Test absolvieren lassen. Es ergab sich auch dort: Wer schimpft, wächst nochmals ein Stück über sich hinaus. Wenns also das nächste Mal einfach nicht mehr weitergeht am Hang, schleudert man diesem am besten ein paar wüste Worte entgegen. Dann reichts auch noch für die letzten Meter.

(Fortsetzung weiter unten…)

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Schimpfen hilft auch bei seelischem Leid

Selbst seelische Verletzungen vermag das Fluchen bisweilen zu lindern. In ihrer Studie haben der neuseeländische Psychologe Michael Philipp und die australische Wissenschaftlerin Laura Lombardo verschiedene Personen darum gebeten, sich an ein Erlebnis zu erinnern, bei dem sie sich ausgeschlossen oder zurückgewiesen gefühlt hatten. Wer danach zwei Minuten lang verbal ausholen durfte, fühlte sich deutlich besser als jene, die das nicht getan hatten. Gleichzeitig wiesen diese Personen auch keine erhöhte Schmerzempfindlichkeit auf, was ebenfalls häufig eine Folge sozialer Verletzungen ist.

Fluchen kann auch Verbundenheit und Vertrauen signalisieren

In der Regel verbinden wir Fluchen mit negativen Gefühlen wie Frust, Wut und Schmerz. Dabei erfüllt es im Alltag auch andere Funktionen: So dienen Kraftausdrücke ebenso dazu, Freude, Triumph und Anerkennung auszudrücken, oder verleihen einer Sache einfach mehr Nachdruck. Wohldosiert und am rechten Ort eingesetzt, können Fluchwörter die Aufmerksamkeit für ein Anliegen erhöhen und einen glaubwürdiger und überzeugender machen. Wüstes Vokabular vermittelt nicht zuletzt auch Verbundenheit und Vertrauen. In so vielen Kontexten sei das Fluchen sanktioniert und unangemessen, meint dazu Fluchexperte Richard Stephens, so dass eine derbe Ausdrucksweise eben auch bedeuten kann: Ich fühle mich so wohl mit dir, dass ich ohne Bedenken auch mal fluche. Wir sind hier unter uns.

Was löst Fluchen im Gehirn aus?

«Fuck» löst in der Regel stärkere Gefühle in uns aus und bewirkt auch mehr Katharsis als «Blume» oder «Stuhl». Das legt nahe, dass Schimpfwörter auch im Gehirn an einem anderen Ort verarbeitet werden. Fluchen aktiviert vermutlich das limbische System, das für emotionale Prozesse zuständig ist, und löst möglicherweise eine tief verankert ablaufende Kampf-oder-Flucht-Reaktion aus, mit der wir automatisch auf potentielle Gefahr reagieren. Das würde auch erklären, warum Schimpfwörter die Aufmerksamkeit in Experimenten erhöhen und besser erinnert werden als andere Begriffe. Für eine unterschiedliche Verarbeitung spricht auch: Während die Wortproduktion und das Wortverständnis nach einer Schädigung des Sprachzentrums im Gehirn meist stark beeinträchtigt ist, bleibt die Fähigkeit zu fluchen bei einer sogenannten Aphasie oft erstaunlich intakt.

Kraftausdrücke versetzen den Körper in Stress

Fluchen kann im Körper eine veritable Stressreaktion auslösen. Das autonome Nervensystem reguliert eine ganze Reihe von physiologischen Funktionen wie Verdauung, Durchblutung oder Herzfrequenz, die sich unserer bewussten Kontrolle entziehen. Es bereitet den Körper auch darauf vor, auf vermeintliche oder reelle Bedrohungen zu reagieren: Das Herz schlägt schneller, der Magen wird flau, Adrenalin schiesst durch die Adern. Emotionale Erregung wie Stress wird deshalb in der Forschung oft über eine Aktivierung des autonomen Nervensystems gemessen: Fluchen, das zeigen diverse Experimente, geht sowohl mit einer stärkeren Hautleitfähigkeit ein, also eigentlich einem leichten Schwitzen, als zum Teil auch mit einer erhöhten Herzfrequenz.

Was Fluchen bewirkt, ist auch eine Frage des Geschlechts

Welche Rolle kommt dem Fluchen zu, wenn wir mit einer Krankheitsdiagnose zurechtkommen und uns an eine neue Realität anpassen müssen? Genau das wollten die amerikanische Psychologin Megan Robbins und ihr Team herausfinden. Sie haben Brustkrebs- und Arthritispatientinnen ein Aufnahmegerät angehängt, das in regelmässigen Abständen Geräusch- und Sprachsequenzen aufzeichnete. Die Analyse dieser Clips ergab: Wer in Gegenwart von anderen fluchte – nicht aber, wer für sich alleine schimpfte –, wies im Verlauf der Studie mehr depressive Symptome auf und fühlte sich von seinem Umfeld weniger unterstützt.

Das überraschte das Forschungsteam nicht zuletzt, weil sich das Fluchen eigentlich nie gegen andere Personen gerichtet hatte, sondern stets gegen die Krankheit oder die gegenwärtige Situation. Dass Fluchen für diese Frauen mit sozialen Kosten verbunden ist, hängt möglicherweise damit zusammen, dass die Patientinnen mehrheitlich zu einer Generation zählten, in der ein derbes Vokabular noch verpönter war für Frauen als heute. Sie verstiessen damit sowohl gegen Geschlechter- als auch Altersnormen.

Fluchen und Humor helfen

Dagegen analysierte die britische Wissenschaftlerin Sarah Seymour-Smith in einer anderen Studie das Videotagebuch eines jungen Mannes mit Prostatakrebs. Hier schienen Humor, aber eben auch Kraftausdrücke durchaus zu helfen, sich einerseits mit der Krankheit auseinanderzusetzen und gleichzeitig die eigene Identität als Mann beziehungsweise die eigene Vorstellung von Männlichkeit zu bewahren.

von Ümit Yoker,

veröffentlicht am 24.08.2023


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