Um den Familienalltag gut zu organisieren, muss man an tausend Kleinigkeiten denken. Das braucht manchmal fast so viel Energie wie das Erledigen selbst. Eine Psychologin gibt Tipps, wie man die mentale Last besser bewältigen kann.
Das eine Kind braucht neue Schuhe, das andere muss beim Zahnarzt angemeldet und ans Klavierüben erinnert werden. Auch der Geburtstag der Grossmutter darf nicht vergessen gehen und für die Sommerferien muss jetzt eine Wohnung gesucht werden. Damit das Familienleben reibungslos funktioniert, ist viel Organisationstalent nötig. Auch heute noch sind es überwiegend Frauen, die den grössten Teil dieser Denkarbeit übernehmen – und damit nicht selten an ihre Grenzen kommen. Seit einigen Jahren ist der Begriff dafür auch im deutschen Sprachraum geläufig: Mental Load.
Der Übergang von der empfundenen Belastung bis zur Überlastung ist fliessend und die Begriffe können nicht scharf voneinander getrennt werden. Entwickelt man gesundheitsschädigende Symptome, muss man wohl definitiv von Mental Overload sprechen. In der Literatur wird jedoch meist nur der Begriff Mental Load verwendet.
Der englische Begriff heisst auf Deutsch: mentale Last. Dabei geht es weniger um die Zeit und Energie, die es braucht, um die anstehenden Arbeiten an sich zu erledigen, sondern um den Denkprozess: In einem komplexen Alltag muss man stets alle Aufgaben auf dem Radar haben und so gut organisiert sein, dass alles aufeinander abgestimmt ist, zur richtigen Zeit ausgeführt wird und nichts vergessen geht. Typischerweise wird der Begriff im Familienkontext gebraucht und es sind oft die Mütter, die unter Mental Load leiden.
Wer hundert Dinge im Kopf hat – auch wenn es sich bei vielen um Banalitäten handelt – dem fällt es oft schwer, sich auf die Arbeit zu konzentrieren oder in der Freizeit ganz abzuschalten und sich zu erholen. Es kann vorkommen, dass man nachts aufwacht und nicht mehr einschlafen kann, weil einem plötzlich ein Versäumnis oder eine anstehende Aufgabe in den Sinn kommt. Zudem ist die alltägliche Denkarbeit weitgehend unsichtbar, weshalb es oft an Anerkennung fehlt.
Über längere Zeit und ohne genügend Ruhepausen kann Mental Load das Stresslevel erhöhen. Dies kann sich in Form von gesundheitlichen Beschwerden, Reizbarkeit, Schlafstörungen, Grübelzwang, Herzrasen oder Anspannung äussern und letztlich auch in eine Depression führen. Die Folgen dieser empfundenen Last können auch die Beziehungen innerhalb und ausserhalb der Familie strapazieren. «Bei andauernden Schlafstörungen oder dem Gefühl der Überforderung ist es sinnvoll, sich Hilfe zu suchen», rät Dr. Claudia Meier Magistretti, Psychologin und Psychotherapeutin in Ausbildung bei WePractice Bern Spitalgasse.
Ja, und zwar vor allem Frauen mit Kindern. In einer Umfrage von 2021 des Instituts Sotomo im Auftrag der Zeitschrift Annabelle gaben 81 Prozent aller befragten Frauen an, dass sie bei der allgemeinen Haushaltsorganisation und beim «Drandenken» wesentlich mehr leisten als ihr Partner. Auch in der Beziehungspflege mit Familie, Freundeskreis und Nachbarschaft, bei der Kinderbetreuung und -erziehung sowie bei der Ferien- und Freizeitplanung übernehmen Familienfrauen gemäss ihrer Wahrnehmung mehr Verantwortung. Dagegen tragen ihre Partner mehr zum Einkommen bei und sind für Reparaturen im Haushalt zuständig. Obwohl die Mehrheit der Paare während der ersten Schwangerschaft egalitäre Absichten äussert, gelinge es nur einer Minderheit, diese Werte als Familie auch umzusetzen, ziehen die Forschenden der Studie ein ernüchterndes Fazit.
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Diesen Vorwurf hören Frauen öfter: «Du bist einfach zu perfektionistisch! Du willst dich überall einmischen! Du kannst nicht loslassen!» und so weiter. Ob er gerechtfertigt ist, ist schwierig zu beurteilen und hängt von der Situation ab. Frauen wird nachgesagt, dass sie hohe Ansprüche an sich selbst und an das Funktionieren der Familie haben. Daher fällt es manchen schwer, eine delegierte Aufgabe vollständig abzugeben, ohne ständig zu kontrollieren, ob sie perfekt ausgeführt wird. Wenn der Vater nur Ravioli aufwärmt, statt eine ausgewogene Mahlzeit zu kochen, sind sie unzufrieden. Anderseits stehen Frauen wohl auch stärker unter gesellschaftlicher Beobachtung und Unzulänglichkeiten fallen eher auf sie zurück. Wenn das Kind seine Hausaufgaben nicht erledigt oder keinen gesunden Znüni dabei hat, wird eher die Mutter dafür verantwortlich gemacht und sie schämt sich auch schneller für das Versäumnis.
Ja, klar. Männer, die im Familienkontext den grössten Teil der Organisations- und Denkarbeit übernehmen, sind jedoch die Ausnahme. Doch auch ein anspruchsvoller Job und daneben zum Beispiel ein Ehrenamt wie Gemeinderat, Feuerwehrmann oder Fussballcoach führt es mit sich, dass man nicht nur für die Aufgaben selbst viel Zeit investieren, sondern auch gut jonglieren und organisieren muss, um nichts zu vergessen. «Insbesondere Väter in einer flexibilisierten Arbeitswelt, in Positionen mit viel Verantwortung oder in schwierigen Arbeitsbedingungen, wie Schichtarbeit, sind ebenfalls von Mental Load betroffen», sagt Claudia Meier Magistretti. Zudem würden Männer an der Arbeit immer noch komisch angeschaut und in ihren Ambitionen hinterfragt, wenn sie ihr Pensum auch nur um zehn Prozent reduzieren wollten. Die karrieretechnischen Einbussen von Teilzeitarbeit seien für Männer grösser als für Frauen.
Doch obwohl die Verteilung in Familien anscheinend immer noch meist den alten Rollenklischees entspricht – noch stärker betroffen von Mental-Load-Stress sind alleinerziehende Mütter und Väter. Zu den gefühlt tausend Dingen, an die es im Alltag zu denken gilt, kommt bei ihnen die Planung der Kinderbetreuung und die Absprache mit dem Ex-Partner oder der Ex-Partnerin hinzu. Gerade in der Trennungsphase ist dies oft mit emotionaler Belastung verbunden. Alleinerziehende haben zudem oft mit zeitlichem Stress und finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen und sind deshalb psychisch fragiler als Menschen in einer stabilen Beziehung.
«Mental Load wird oft als persönliches Problem oder sogar als individuelles Versagen erlebt», sagt Claudia Meier Magistretti. Dabei handle es sich auch um eine Folge von fehlenden Unterstützungsangeboten und Strukturen für Familien. In der Schweiz seien die gesetzlichen Grundlagen und Regelungen am Arbeitsplatz mangelhaft. Entlastend wären zum Beispiel freie Tage für Mütter und Väter, um ihr Kind in eine Kita einzugewöhnen. «Die skandinavischen Länder machen es vor», stellt Meier Magistretti fest: «Viel längere Mutterschafts- und Vaterschaftsurlaube und eine Rückkehrgarantie an den Arbeitsplatz. Das ist ein anderer Start ins Familienleben.»