Immer vor Mitternacht ins Bett, dafür früh aufstehen und am besten 8 Stunden schlafen? Hier sagen Expertinnen und Experten, welche Schlaf-Mythen stimmen und welche nicht.
Stimmt. Der Volksmund hat es eigentlich schon immer gesagt – doch die Wissenschaft konnte diesen Nachweis bis vor Kurzem nicht erbringen. Jetzt ist aber gemäss aktuellen Studien auch wissenschaftlich belegt, dass die Schlafqualität bei Vollmond schlechter ist. Warum das so ist, kann man noch nicht erklären. Dass der Vollmond Einfluss auf die Menschen ausübt, wurde schon früher in anderen Erhebungen festgestellt, etwa dass die Zahl von Gewaltverbrechen während des Vollmonds zunimmt.
Jens Georg Acker, Schlafmediziner, Chefarzt der Klinik für Schlafmedizin, Bad Zurzach
Das stimmt so nicht. Die Menschen haben individuelle Schlafzeiten. So gibt es «Lerchen», die Frühaufsteher, und «Eulen», die Nachtmenschen. Ausserdem verschiebt sich mit zunehmendem Alter der Schlafrhythmus deutlich nach vorn. Das Problem dabei ist, dass die Gesellschaft sich nicht nach diesen individuellen Schlafzeiten richtet. Man denke an die Diskussion des Schulbeginns oder an die Schichtarbeit. Das heisst: Der gute Schlaf ist dort, wo man gut schlafen kann. Wichtig ist ein regelmässiger Schlafrhythmus und die richtige Schlafmenge.
Jens Georg Acker, Schlafmediziner
Der späte Chronotyp wird mit verschiedenen gesundheitlichen Problemen in Verbindung gebracht, wahrscheinlich weil Langschläfer chronisch unter Schlafmangel leiden, da man den Arbeits- oder Schulbeginn nicht ändern kann. Chronischer Schlafmangel begünstigt zudem die Entstehung einer Depression.
Raphael Heinzer, leitender Arzt am Centre d'investigation et de recherche sur le sommeil (CIRS), CHUV Lausanne.
Richtig. Unser Gehirn arbeitet im Schlaf und ordnet die am Vortag gespeicherten Gefühle und Informationen neu. Es lohnt sich, die Ideen, die einem im Schlaf kommen, in ein Notizbuch zu schreiben, sie aber am nächsten Tag kritisch zu lesen, denn manchmal schläft der Frontallappen (logisches Denken) über Nacht ein!
Raphael Heinzer, leitender Arzt am Centre d'investigation et de recherche sur le sommeil (CIRS), CHUV Lausanne.
Stimmt. Dinnercancelling oder zu Deutsch Abendfasten hat die Wirkung, dass nachts die Verdauungsorgane weniger arbeiten. Die Chronobiologie bestätigt heute, dass wir einen inneren Rhythmus im Stoffwechsel haben und die Verdauungsorgane nachts weniger arbeiten. Und nachts benötigen wir sehr wenig Energie. Das Dinnercancelling führt häufig zu erholsamerem Schlaf sowie dadurch gesteigerter Leistungsfähigkeit und es erleichtert, das Gewicht zu halten.
Sybille Binder, dipl. Ernährungsberaterin FH, ehem. Leiterin des Institus für integrative Naturheilkunde, Zürich
Ja, das trifft prinzipiell zu. Schlafmangel führt zu einem Mangel eines bestimmten Hormons, das häufig das Risiko von unkontrollierten Heisshungerattacken erhöht. Die Menschen neigen dann dazu, den Heisshunger mit Schokolade und Süssem oder koffeinhaltigen Getränken zu stillen. Ausserdem hat Schlafmangel zur Folge, dass das vegetative Nervensystem aus dem Lot gerät und falsche Impulse aussendet. Auf diese Weise wird der Körper weniger gut entgiftet.
Sybille Binder, dipl. Ernährungsberaterin FH, ehem. Leiterin des Institus für integrative Naturheilkunde, Zürich
Nein. Die Schlafqualität verändert sich. Ältere Menschen haben morgens oft das Gefühl, noch müde zu sein, und interpretieren dies als Schlafmangel. Mit zunehmendem Alter verändert sich das Schlafmuster. Dies ist ein natürlicher Alterungsprozess der dazu führt, dass man kaum noch Tiefschlafphasen aufweist und weniger aktive Traumphasen erlebt. Durch den flacheren Schlaf ist die Weckschwelle gesenkt; Betroffene werden störanfälliger für Geräusche, wachen leichter auf und können nicht mehr durchschlafen. Kommt hinzu, dass es für viele schwieriger wird einzuschlafen. Nicht zuletzt leidet die Schlafqualität durch das häufigere nächtliche Wasserlassen.
Sandra Oppikofer, Gerontologin, Leitung Entwicklung und Evaluation sowie Evaluationsberatung am Zentrum für Gerontologie der Universität Zürich
Stimmt nicht. Der Schlaf-Wach-Rhythmus reguliert bei allen höheren Lebewesen eine ganze Reihe überlebensnotwendiger Vorgänge. Unzählige biologische Vorgänge in den Geweben und im Stoffwechsel gehorchen einer «inneren Uhr». Intuitiv würde man daher annehmen, dass sich Haut, Nägel und Haare in der Nacht regenerieren. Die innere Uhr der Haut funktioniert jedoch anders. Neuste Forschungsergebnisse haben nachgewiesen, dass die Regenerationskraft von Haut, Haaren und Nägeln tagsüber und speziell am Mittag am höchsten ist.
Jürg Hafner, Professor, Leitender Arzt Dermatologische Klinik, Universitätsspital Zürich
Stimmt. Baldrian wirkt sehr gut als Einschlafhilfe. Wissenschaftlich ist der Wirkmechanismus nicht genau bestimmt, der für die schlaffördernde und entspannende Wirkung der Baldrianwurzel verantwortlich ist. Sicher ist, dass der Baldriantee oder die Baldriantinktur bei Unruhezuständen und Nervosität als idealer Schlafanstoss gilt. Je nach Präparat wirkt der Baldrian mehr angstlösend oder entspannend. Die Präparate verursachen keinerlei körperliche Abhängigkeit und beeinträchtigen den physiologischen Schlafrhythmus nicht.
Stephan Savoy, Drogist, Drogerie Savoy, Zürich
(Fortsetzung weiter unten…)
Stimmt so nicht. Frauen geben häufiger an, schlechter zu schlafen als Männer. Das hat aber selten mit dem Ehebett oder Ehemann im gleichen Bett zu tun. In der Kleinkindphase sind Mütter nach wie vor hauptsächlich zuständig für ihre Kinder, auch während der Nacht. Das führt zu feineren Sensoren und «leichterem», störungsanfälligerem, Schlaf. Im späteren Erwachsenenalter scheinen hormonelle Veränderungen zu mehr Schlafstörungen bei Frauen zu führen. Grundsätzlich gibt es aber Hinweise, dass emotionaler Stress bei Frauen sich stärker auf den Schlaf auswirkt. Das ist jedoch schwierig zu beurteilen. Denn häufig geben die Männer nur an, keine Schwierigkeiten zu haben. Da sind Frauen oft einfach ehrlicher.
Raimondo Lettieri, Paarberater und Mediation, Zürich
Stimmt und stimmt nicht. Die Studienergebnisse zu diesem Thema sind recht heterogen. Subjektiv berichten Menschen, dass sie besser schlafen, wenn sie zu zweit schlafen, objektiv ist die Schlafqualität jedoch eher schlechter, vor allem wenn der Partner oder die Partnerin schnarcht. Wenn man sich vom Partner oder der Partnerin gestört fühlt, sollte es kein Tabu sein, in getrennten Zimmern zu schlafen.
Raphael Heinzer, leitender Arzt am Centre d'investigation et de recherche sur le sommeil (CIRS), CHUV Lausanne.
Richtig. Während des Schlafs befreit sich unser Gehirn von Ablagerungen. Dank vergrösserter Zwischenräume zwischen den Nervenzellen im Tiefschlaf zirkuliert die Rückenmarksflüssigkeit besser, sodass «Abfallstoffe», die sich im Wachzustand angesammelt haben, abtransportiert werden können. Wenn wir nicht gut oder zu wenig schlafen, sammeln sich also giftige Substanzen in unserem Gehirn an, die dessen Funktion stören und uns zum Schlafen bringen.
Raphael Heinzer, leitender Arzt am Centre d'investigation et de recherche sur le sommeil (CIRS), CHUV Lausanne.
Stimmt und stimmt nicht. Vielleicht, aber nur, wenn Sie in der Lage sind, um 21.30 Uhr ins Bett zu gehen! Frühes Aufstehen fördert wahrscheinlich die Produktivität, da man in den frühen Morgenstunden kaum gestört wird, aber wenn man dafür ein oder zwei Stunden Schlaf pro Tag opfert, wird es kontraproduktiv. Seien Sie misstrauisch, wenn Politiker und prominente Vertreter der Wirtschaft behaupten, sie schlafen nur vier bis fünf Stunden pro Nacht. Sie sind ein schlechtes Vorbild, denn wer langfristig erfolgreich sein will, muss sein Schlafbedürfnis respektieren. Federer war so ehrlich und sagte, dass er nicht so erfolgreich hätte sein können, wenn er nicht während seiner gesamten Karriere darauf geachtet hätte, acht Stunden zu schlafen.
Raphael Heinzer, leitender Arzt am Centre d'investigation et de recherche sur le sommeil (CIRS), CHUV Lausanne.
Stimmt und stimmt nicht. Ja, etwa acht Stunden für die meisten Erwachsenen, aber in Bezug auf die Schlafdauer sind wir nicht alle gleich. Einige Glückspilze brauchen nur sechs Stunden und andere brauchen ganz klar neun Stunden, um sich wohlzufühlen. Es ist eine Frage der genetischen Veranlagung!
Zu wenig oder zu viel Schlaf (mehr als neun Stunden) kann das Schlaganfallrisiko erhöhen. Fast alle epidemiologischen Studien zeigen, dass Menschen, die weniger als 6 Stunden oder mehr als 9 Stunden schlafen, eine erhöhte kardiovaskuläre Mortalität aufweisen. Der Zusammenhang mit Schlafmangel ist eindeutig, der Zusammenhang mit zu viel Schlaf jedoch nicht wirklich.
Raphael Heinzer, leitender Arzt am Centre d'investigation et de recherche sur le sommeil (CIRS), CHUV Lausanne.
Zu 100 Prozent wahr. Unser Gehirn liebt eine regelmässige Routine. So kann es sich auf den Schlaf vorbereiten und ihn optimal nutzen. Menschen, die im Einklang mit ihrem biologischen Rhythmus (zirkadianer Rhythmus) schlafen, haben einen tieferen und erholsameren Schlaf. Menschen, die in Tag- und Nachtschichten oder im «3-Schicht-Betrieb» arbeiten müssen, haben unter anderem ein höheres Herz-Kreislauf-Risiko.
Raphael Heinzer, leitender Arzt am Centre d'investigation et de recherche sur le sommeil (CIRS), CHUV Lausanne.
Richtig. Wenn man nachts nicht genug Schlaf bekommen hat, ist das beste Mittel ... schlafen! Ein Nickerchen von 15 bis 20 Minuten kann bereits sehr erholsam sein. Ein längeres Nickerchen hingegen kann zu Schlaftrunkenheit führen (Aufwachen im Tiefschlaf), ist aber dennoch vorteilhaft. Einige Unternehmen, vor allem in Asien und Spanien, haben die Vorteile des Mittagsschlafs erkannt und bieten sogenannte «Pods» zum Ausruhen an, was die Effizienz und das Wohlbefinden der Mitarbeiter steigert. In der Schweiz ist der Mittagsschlaf leider immer noch verpönt und gilt als Zeichen von Faulheit.
Raphael Heinzer, leitender Arzt am Centre d'investigation et de recherche sur le sommeil (CIRS), CHUV Lausanne.