Unser Schlaf bestimmt, wie wir uns fühlen. Aber was ist gesunder Schlaf? Ist es normal, nachts aufzuwachen? Und wann sollten Schlafprobleme behandelt werden? Antworten aus einem Selbstversuch.
In 21 Tagen habe ich 153 Stunden und 30 Minuten im Bett verbracht. Das zeigt mein Schlafprotokoll. Im Schnitt sind das 7 Stunden und 20 Minuten pro Nacht. Doch sollten es nicht mindestens acht sein?
Schlafforscher Albrecht Vorster schüttelt vehement den Kopf. «Das wäre, wie wenn man sagen würde, alle Menschen brauchen T-Shirt-Grösse L.» Trotzdem seien noch immer viele davon überzeugt, dass sie acht Stunden durchschlafen müssten, um sich fit zu fühlen. Eine falsche Erwartung, nennt Vorster das, und ein zentrales Thema in seinen Behandlungen von Schlafkrankheiten.
Was hingegen stimmt: Wir alle müssen schlafen. Unser Gehirn braucht Schlaf, um Erlebtes zu verarbeiten, Erfahrungen zu speichern oder Kreativität zu gewinnen. Der Körper reguliert den Blutdruck, stärkt das Immunsystem oder erneuert das Gewebe. Das sind nur einige Beispiele von unzähligen Prozessen, die jede Nacht ablaufen, während wir schlafen.
Umso problematischer: «Ein Drittel der Bevölkerung leidet an einer Schlafstörung, die behandelt werden müsste», sagt Vorster. Der Satz steht am Anfang meiner dreiwöchigen Schlafanalyse. Mit der Frage: Gehöre ich zu diesen 30 Prozent?
Bewusst Schlafprobleme hatte ich das erste Mal vor zwei Jahren. Ich hatte eine Deadline vor mir und die Zeit lief davon. Ich wachte nachts oftmals auf, nassgeschwitzt und panisch, dass ich die Abgabe nicht schaffe. Mit der Abgabe legte sich die Panik, das Aufwachen blieb. Bis zu viermal pro Nacht.
Um herauszufinden, ob das normal ist, habe ich Albrecht Vorster kontaktiert. Er leitet das Swiss Sleep House in Bern. Das Zentrum gehört zum Inselspital und ist spezialisiert auf Ein- und Durchschlafstörungen. «Insomnie», wie es in der Fachsprache heisst. Eine der häufigsten Schlaferkrankungen neben Schlafapnoe, nächtlichen Atemaussetzern, meist gekoppelt mit Schnarchen, und dem Restless-Legs-Syndrom, einem abendlichen Bewegungsdrang in den Beinen.
Warum leiden so viele Menschen an Schlafproblemen? «Warum haben so viele Menschen eine Grippe?», fragt Vorster zurück und antwortet gleich selbst: Beides seien Krankheiten, die es schon immer gegeben habe. Nur würden Schlafprobleme oftmals unterschätzt – trotz teils gravierender Spätfolgen wie Herz-Kreislauf-Problemen, Diabetes, Demenz oder Depressionen.
Mit den Schlaflaboren ab den 1970ern wurde Schlaf erstmals messbar; Schlafprobleme behandelbar. Zumindest organische, allen voran Schlafapnoen. Insomnien dagegen seien schwierig zu messen, sagt Vorster. Allein an einer Ein- und Durchschlafstörung leiden gut zehn Prozent der Schweizerinnen und Schweizer, so die Zahlen des Swiss Medical Forums. «Das sind mehr als Diabetiker und doch sind wir das einzige auf Insomnie spezialisierte Zentrum in der Schweiz.»
In seinen Behandlungen setzt das Team des Sleep House auf Verhaltenstherapie. Heisst: Sie untersuchen, wie eine Person ihr Verhalten ändern und so ihren Schlaf verbessern kann. Als Patientin musste ich dafür meinen Schlaf protokollieren: Wann bin ich ins Bett gegangen, wie viele Stunden habe ich geschlafen, wie viele wachgelegen. Aber auch: Wie viel Kaffee habe ich getrunken, wann gegessen, wie habe ich mich tagsüber gefühlt. Ein Sensor unter meiner Matratze und ein Ring am Finger erfassten zusätzlich physische Faktoren wie Puls, Atem oder Herzschlag.
(Fortsetzung weiter unten…)
Drei Wochen später sitze ich mit Vorster an der Sonne vor dem Sleep House. «Mit dem Schlafprotokoll sehe ich relativ schnell, wie jemand schläft, welche Gewohnheiten er oder sie hat und wie das zusammenspielt», sagt Vorster. Sein Ziel: Keine einzelnen Nächte analysieren, sondern Muster erkennen. Denn ab und zu eine schlechte Nacht sei normal. «Sorgen machen sollte man sich jedoch, wenn Schlafprobleme drei Monate lang mehr als dreimal pro Woche auftreten.»
Wie gesund ein Schlaf ist, bestimmt Vorster mit acht Kriterien. Die Schlafdauer ist eines davon. «Ein guter Schlaf definiert sich jedoch über mehr als die Länge», sagt er. Wir gehen die Liste durch. Punkt eins: Die Schlafdauer sollte zwischen 6 und 8 Stunden liegen. Das erfülle ich, also erhalte ich den ersten Punkt. Weitere bekomme ich, da ich nicht schnarche, keine Tagesschläfrigkeit habe, nicht Schicht arbeite oder schlafwandle. Abzüge erhalte ich, weil ich nachts oft wachliege, mit meinem Schlaf unzufrieden bin und kein Morgenmensch, aber trotzdem früh aufstehen muss.
Am Ende erfülle ich fünf von acht Anforderungen an einen gesunden Schlaf. «Eine leichte Insomnie», schliesst Vorster. Eine bessere Bilanz ziehen die elektronischen Messgeräte von Matratze und Finger: Mein Schlaf ist regelmässig, Atmung, Puls und Sauerstoffsättigung sind im Normalbereich.
«Mit Ihrem Schlaf wären viele Menschen sehr zufrieden», sagt Vorster. Einzig weniger Aufwachen wäre gewünscht. Pro Nacht liege ich im Schnitt eine Stunde wach. Wer nachts nicht schlafen könne, verbringe meist mehr Zeit im Bett, als er Schlaf brauche. Vorster empfiehlt entgegen meiner Erwartung: «Statt Ihre Zeit im Bett zu verlängern, sollten Sie sie um eine Stunde kürzen.»
Seither versuche ich, weniger lang im Bett zu liegen. Ich wache auch weniger oft auf. Geändert hat sich aber vor allem eines: Ich fühle mich entspannt, auch wenn ich nicht acht Stunden durchschlafe.
(Fortsetzung weiter unten…)
Weitere Tipps für einen tiefen und gesunden Schlaf findest du hier.
Künstliches Licht wie jenes von Handy- und Tablet-Bildschirmen kann die Ausschüttung des Schlafhormons Melatonin kurzzeitig senken und so unseren natürlichen Schlaf-Wach-Rhythmus stören. Wer abends am Smartphone ist, hat also womöglich mehr Mühe einzuschlafen. Eine Studie vom März 2023 zeigt, dass das Handylicht die Einschlafzeit jedoch nur wenig, nämlich rund eine Minute, verzögert.
Trotzdem empfiehlt Albrecht Vorster, Schlafforscher am Inselspital in Bern, das Smartphone und alle anderen Bildschirme wie Tablets, Computer oder den Fernseher eine halbe Stunde vor dem Zubettgehen auszuschalten. Besonders warnt er vor dem abendlichen Scrollen in den sozialen Medien, da dies Emotionen auslösen kann, die wir mit in den Schlaf nehmen und die uns dann schlechter schlafen lassen.