Fermentieren liegt im Trend. Doch was genau geschieht bei diesem Gärprozess? Und warum gilt Milchsäurevergorenes als Besen für den Darm? Wir haben uns schlau gemacht.
Ein «kreativer Raum zwischen frisch und verfault». So umschreibt der bekannte US-Gastrokritiker Sandor Katz den Prozess der Fermentierung. Tönt wenig appetitlich – doch ohne Vergärungsprozess wären Delikatessen wie Schokolade, Käse, Kaffee und Wein undenkbar. Aber auch Bodenständiges wie Brot, Bier und Sauerkraut. Und Angesagtes wie Kimchi und Tempeh, die dazu beigetragen haben dürften, dass Fermentieren derzeit im Trend ist. Wobei: Frementiert wird seit Tausenden Jahren. Überall auf der Welt.
Was sich verändert hat, ist die primäre Motivation und das Verständnis der zugrundeliegenden, mikrobiologischen Prozesse. Dass Bakterien Kohlenhydrate in Milchsäure umwandeln, wussten unsere Vorfahren in der Jungsteinzeit kaum. Dennoch erkannten sie, dass vergorene Lebensmittel nicht so schnell verschimmeln, also länger haltbar waren. Die heute selbstverständliche ständige Verfügbarkeit frischer Produkte mag den Bedarf nach Konservierung ein Stück weit obsolet gemacht haben. Dafür stehen jetzt die beiden anderen, nicht in der faszinierenden Aspekte der Fermentierung im Vordergrund: Bekömmlichkeit und Geschmack.
Im menschlichen Körper befinden sich zehnmal mehr Bakterien als eigene Zellen. Milchsäurebakterien fördern erwiesenermassen eine gesunde Darmflora, die ein wesentlicher Bestandteil des menschlichen Immunsystems ist. Sie bekämpfen schädliche Keime und beugen der Verstopfung vor, weshalb Milchsaures auch als Besen für den Darm bezeichnet wird.
Milchsäurebakterien verbessern zudem die Laktoseverdauung und die Kontrolle des Cholesterinspiegels. Auch sollen sie die Aufnahme von Eisen fördern, wobei die dem zugrundeliegenden biochemischen Prozesse wissenschaftlich noch nicht geklärt sind.
Klar hingegen ist, dass Fermentiertes vor dem Verzehr nicht erhitzt werden sollte, weil das die wertvollen Mikroorganismen abtöten würde. In pasteurisiertem Sauerkraut etwa sind die wertvollen Milchsäurebakterien nicht mehr vorhanden. Am besten geniesst man Fermentiertes kalt, als Beilage zur Hauptmalzeit, wie dies etwa in Korea der Fall ist. Kimchi gehört dort zu jedem Essen.
Ebenso bemerkenswert wie der wohltuende Effekt fermentierter Gemüse ist deren Aromavielfalt – irgendwo zwischen herzhaft und sauer, wobei der Gout je nach Produkt variiert. Fermentierte Rüebli etwa schmecken immer noch nach Rüebli, andere Produkte durchlaufen eine komplexere Transformation. Der erdige, leicht scharfe Geschmack von frischen Radiesli weicht zum Beispiel einer feinen Säure.
Auch ihr Aussehen verändert sich: Durch die Lake löst sich die Farbe der Haut und verteilt sich gleichmässig; die Radieschen wirken nun wie hellpurpur getüncht. «Fermentieren heisst Experimentieren», sagt der Starkoch Rolf Caviezel (siehe Interview), vor allem mit den beiden Parametern Zeit und Temperatur.
Zeit und Temperatur sind von grosser Bedeutung in der Fermentierung: Je länger, desto intensiver wird der Geschmack, und je wärmer, desto schneller läuft der Prozess ab. Der amerikanische Brotpapst Ken Forkish bezeichnet sie deshalb sogar als Zutaten.
Doch wie lang ist lang genug? Forkish: «Ich höre diese Fragen immer wieder in meinen Kursen, und ich gebe stets die gleiche Antwort: Es kommt auf den individuellen Geschmack an. In der Regel kann man nach fünf bis sieben Tage probieren und beurteilen, ob es für einen stimmt.»
Zur Temperatur ist noch zu sagen, dass diese möglichst konstant sein soll, sonst wird der Gärprozess unberechenbar. Zu Hause bietet sich deshalb der Keller an. Salz (Salzlake) ist übrigens keine Zutat im eigentlichen Sinn, da es den Fermentierungsprozess nicht begünstigt, sondern im Gegenteil hemmt: Das Salz bewahrt das Gemüse vor dem Verderben, solange sich die Milchsäurebakterien noch nicht genügend vermehrt haben.
Rolf Caviezel ist mehrfach ausgezeichneter Koch und Leiter des Fermentationskochkurses an der Klubschule Migros.