Obwohl sie reich an hochwertigem Eiweiss und weiteren Nährstoffen sind, befinden sich Insekten als Nahrungsmittel in Europa erst in den Startlöchern. «Reine Kopfsache», sagt eine Expertin, und verrät, was Insekten alles bieten.
Szenario: Eine gesellige, internationale Runde sitzt beisammen, der Gastgeber stellt als Appetizer gefüllte Datteln auf den Tisch, aus denen Heuschrecken ragen. Was passiert? Die Asiaten, Afrikaner und Südamerikaner greifen beherzt zu. Von den drei Schweizern am Tisch greift sich nur einer ein Häppchen.
Während in Asien, Afrika und Südamerika Insekten öfters auf dem Speiseplan stehen, landen sie in unseren Breitengraden erst zögerlich in der Küche. Grillen, Heuschrecken und Mehlwürmer weisen einen ähnlich hohen Proteingehalt auf wie Krevetten, Tintenfisch, Barsch und Hummer (siehe Tabelle). Trotzdem lösen Insekten auf dem Teller bei uns eher Ekel als Vorfreude auf eine neuartige Gaumenerfahrung aus. Zurzeit können sich vier von zehn Menschen in der Schweiz vorstellen, Insekten zu essen. Gleich viele – darunter zahlreiche über 60-Jährige – würden nie Insekten essen. Das zeigt eine repräsentative Umfrage.
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«Reine Kopfsache», sagt Marianne Wehrli, die in der Klubschule Migros seit 18 Jahren leidenschaftlich Kochkurse leitet – darunter seit kurzem auch mit Insekten. «Lässt der Kopf die Insekten erst einmal los, finden sie problemlos den Weg in den Magen», hat sie festgestellt. Die Menschen, die an diesen Kochkursen teilnehmen, seien neugierig, interessiert und experimentierfreudig, auch wenn es ums Essen der gekochten Insekten ginge.
Von den gefüllten Datteln mit Heuschrecken, den Hackbällchen mit Mehl von Grillen- und Mehlwürmern plus Bohnen sowie der Baklava-Dessertkreation blieb nach dem letzten Kochkurs nichts übrig. Wie man Insekten kocht, möchten vor allem jüngere Kochfans bis zum Alter von 35 Jahren ausprobieren.
«Auch ich bin Köchin aus Leidenschaft und neugierig auf Neues, auch Insekten», sagt Marianne Wehrli. An den Insekten schätzt sie nicht nur die wertvollen Proteine, sondern auch deren Vielseitigkeit: «Insekten sind ein wunderbares Zusatzlebensmittel für alle Gerichte», so die Köchin. (Lesen Sie unten weiter …)
Natürlich hat sie Insekten längst selbst probiert. «Insekten haben einen schönen nussigen Geschmack, der immer wieder auftritt». Wie oft und intensiv das der Fall ist, hängt davon ab, wie sie zubereitet werden. Da sie in der Schweiz gefriergetrocknet erhältlich sind, empfiehlt die Köchin, sie fünf bis zehn Minuten im Backofen zu rösten oder rund fünf Minuten mit scharfen, asiatischen Gewürzen im Öl zu braten. Vom Rohverzehr rät sie ab.
Insekten eignen sich gut als Beilage zu Teigwaren, Risotto, oder auch zu Gemüse und als Dessert – etwa verarbeitet zu süssem Baklava. Auch püriert sind sie als Mehl eine gute Quelle von Protein. Sie sind überall einsetzbar und schnell zubereitet. Einzig die Beine und Flügel der Heuschrecken müssten vor dem Kochen entfernt werden.
Proteingehalt (g) pro Lebensmittel (100g)
Der menschliche Körper benötigt 22 Aminosäuren. 13 kann er selber bilden, die restlichen neun muss er mit der Nahrung aufnehmen können. Lebensmittel, die alle neun Substanzen enthalten, werden als komplette Eisweissquellen bezeichnet. Dazu gehören Fleisch, Fisch, Milchprodukte, Eier und Insekten. Die Tabelle der Food and Agriculture Organization of the United Nations FAO von 2012 vergleicht den Proteingehalt von lebenden Insekten mit Meerestieren. Abhängig davon, wie sich die Insekten ernähren, kann der Wert stark variieren. Bei gefriergetrockneten Insekten ist der prozentuale Anteil an Eiweiss um ein Vielfaches höher, weil ihnen Wasser entzogen worden ist.
«Wir haben hier einen Rohstofflieferanten, der bis zu 77 Prozent Protein in der Trockenmasse haben kann – das ist enorm», sagt Alexander Mathys, Lebensmittelforscher und Assistenzprofessor an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich. «Ich würde sagen, wir haben hier eine Rohware, die mit Fleisch konkurrieren kann, wir haben einen Energiewert ähnlich wie beim Fleisch.» (Lesen Sie unten weiter …)
Nachfolgend der Vergleich der Futterverwertung verschiedener Tiere. Er zeigt, wie viel Kilogramm Futter in wie viel Kilogramm Körpermasse umgewandelt wird. Eines vorweg: Insekten schneiden am besten ab und gelten wegen ihrer guten Ökobilanz auch als Nahrung der Zukunft.
Insekten wandeln im Schnitt 1,7 Kilogramm Futter in ein Kilogramm Körpermasse um. Ein Rind braucht dafür zehn Kilogramm Futter, ein Schwein fünf Kilogramm und Geflügel 2,5 Kilogramm.
Dazu kommt: Der Mensch kann von einer Heuschrecke 80 Prozent verdauen. Vom Rind können wir 40 Prozent aufnehmen, von Schwein und Geflügel 55 Prozent.
Quellen: Food and Agriculture Organization of the United Nations