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Können Probiotika gegen Corona helfen?

Seit Beginn der Pandemie suchen Wissenschaftler nach Wirkstoffen, die einer Covid-19-Erkrankung vorbeugen oder sie mildern. Ärzte aus Lausanne machen nun einen verblüffenden Vorschlag.

Hinweis zur Aktualität

Dieser Artikel gibt den Stand der Erkenntnisse vom Oktober 2020 wieder.

«Probiotische Bakterien können sowohl Infektionen im Darm verhindern als auch Atemwegsinfekte und manchmal sogar schwere, lebensgefährliche Infektionen», sagt Eric Giannoni, Intensivmediziner und Kinderarzt am Lausanner Universitätsspital.

Seit etwa zehn Jahren würden sogar extrem frühgeborene Babys, die nicht einmal ein Kilo wiegen und beatmet werden müssen, mit diesen gesundheitsfördernden Bakterien behandelt, um Infektionen vorzubeugen.

Giannoni ist einer der Autoren eines Fachartikels, in dem ein internationales Forscherteam aus der Schweiz, Grossbritannien und Kanada die Argumente für ihre Hypothese darlegen, dass Probiotika gegen die neuen Coronaviren helfen könnten (Link auf Englisch).

Tatsächlich zeigte ein sehr kleiner Versuch mit zufällig ausgewählten Covid-19 Patienten in Italien, die in einem Spital zusätzlich zur üblichen Behandlung ein Probiotikum erhielten, ermutigende Resultate: Die Wahrscheinlichkeit, dass es bei ihnen zum Atemversagen kam, war merklich kleiner. Auch andere Symptome wie Durchfall und Husten besserten sich bei ihnen rascher. Nun sind weitere, grössere Studien nötig.

Verschiedene Studien bei anderen Erkältungskrankheiten haben ergeben, dass Probiotika die Zahl der Atemwegsinfekte möglicherweise halbieren und auch die Infektionsdauer verkürzen können (Link auf Englisch), verglichen mit einem Scheinmedikament.

Milchsäure- und Bifidusbakterien

An den Experimenten nahmen Leicht- und Schwerkranke teil, Kinder und Senioren, Menschen mit bakteriellen oder mit Virusinfektionen. Allerdings war die Qualität dieser Studien nicht immer so, wie Wissenschaftler es sich wünschen. Hinzu kommt, dass dabei verschiedenste Bakterienstämme zum Einsatz kamen. Sie heissen «Lactobacillus casei», «Bifidobacterium longum», «Lactobacillus rhamnosus» oder haben andere, zungenbrecherische Namen.

Vielfältige Wirkungen möglich

Welches Probiotikum ist nun wann das wirksamste und sicherste? Das ist offen. Auch wie sie genau wirken, ist erst ansatzweise bekannt. Eric Giannoni zählt die möglichen Wirkungen auf: Probiotische Bakterien können die Darmschleimhaut widerstandsfähiger machen, sie können Krankheitserreger schwächen, indem sie ihnen Nährstoffe im Darm «wegschnappen», sie können das Immunsystem beeinflussen und anti-mikrobielle Substanzen produzieren.

Studien an Intensivpatienten

Weil die neuen Coronaviren oft Atemwegsinfekte verursachen und manchmal auch Durchfall, erhofft sich Giannoni auch bei Covid-19 einen Nutzen von den Probiotika. «Das ist aber bis jetzt nur eine Hypothese», betont er. Sie sollte in Studien geprüft werden, finden auch Mikrobiomforscher aus Hongkong (Link auf Englisch). Sie verweisen auf Befunde bei Patienten in kritischem Zustand auf Intensivstationen. Dort führte die Gabe von Probiotika zu weniger Lungenentzündungen.

Ein Selbstversuch ist erlaubt

Die Hongkonger Wissenschaftler raten aber vom «blinden Einsatz» bei Covid-19 ab (Link auf Englisch). Zuerst müsse das Ganze besser erforscht werden, finden sie. Tatsächlich kann es selten zu Komplikationen kommen: Bei zwei sehr schwer erkrankten Covid-Patienten auf der Intensivstation verursachte die – gegen Durchfall verordnete – Bierhefe eine Infektion.

Soll man nun – wie Giannoni es im März getan hat – als gesunder Mensch vorbeugend Probiotika einnehmen? «Riskieren tut man damit ziemlich sicher nichts. Auf keinen Fall sollte man jedoch andere Vorsichtsmassnahmen fallen lassen. Das wäre fatal», sagt Michael Scharl, Medizinprofessor am Universitätsspital Zürich. Er erforscht das Zusammenspiel der verschiedenen Bakterien, Pilze und Viren, die im Darm leben.

(Fortsetzung weiter unten …)

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Naturjoghurt bringt zu wenig

Was sind Probiotika?

Probiotika sind erwiesenermassen gesundheitsfördernde Bakterien, Pilze oder andere Mikroorganismen, beispielsweise manche Lactobazillus- und Bifidobakterien-Stämme. Probiotika gelten allgemein als sicher. Manche sind als Arzneimittel registriert und werden zum Beispiel in Kapselform, als Tropfen oder als Tabletten eingenommen, andere werden als Nahrungsergänzungsmittel verkauft, etwa in Form eines probiotischen Joghurtdrinks. Probiotika werden oft zur Vorbeugung oder Behandlung von akutem Durchfall eingesetzt. Bei geschwächtem Immunsystem, nach Operationen und bei schweren Erkrankungen sollten Probiotika nur nach Rücksprache mit einer Fachperson genommen werden. 

Präbiotika sind Substanzen, welche die Ansiedlung von Probiotika fördern, ihnen Nahrung liefern oder ihre Aktivität fördern. Dazu zählen für den menschlichen Darm unverdauliche Kohlenhydrate wie Frukto-Oligosaccharide in Pflanzen oder Galakto-Oligosaccharide in Milch. 

Synbiotika enthalten sowohl Prä- als auch Probiotika.

Wer einen Versuch unternehmen wolle, solle nur qualitätsgeprüfte Präparate kaufen, raten Scharl und Giannoni. Der Lausanner Kinderarzt verweist auf eine Liste von Probiotika, die in Experimenten bei anderen Infektionen geholfen haben (Link auf Englisch). «Bei den neuen Coronaviren ist aber noch nichts davon geprüft», gibt er zu bedenken. «Die Studien dazu sind noch nicht abgeschlossen.» Naturjoghurt hingegen hat wohl keinen Effekt. Denn die Zahl der Bakterien darin ist zu gering, zudem sterben die meisten im Magensaft.

Was sicher nicht schadet, ist eine gesunde Ernährung mit Ballaststoffen. Denn die für den Darm unverdaulichen Bestandteile von Haferflocken, Vollkorn, Hülsenfrüchten, Brokkoli und anderem Gemüse und Früchten liefern den probiotischen Bakterien sogenannte «Präbiotika» – also genau die Nahrung, die sie brauchen, um sich rasch zu vermehren. Hülsenfrüchte und Vollkorn enthalten ausserdem vergleichsweise viel Spermidin. Diese Substanz konnte im Laborversuch verhindern, dass sich die neuen Coronaviren ausbreiteten.

Deshalb wird Spermidin im Internet bereits als «Hoffnungsträger» bei Corona bezeichnet. Doch ob diese Substanz, die auch in Weizenkeimen, Soja, Nüssen, Pilzen und lange gereiftem Käse wie Parmesan vorkommt, die Hoffnung erfüllen wird, ist völlig ungewiss. Denn die bisher durchgeführten Laborversuche an Affennieren- oder Lungenzellen sagen nichts darüber aus, ob Spermidin auch beim Menschen sicher und wirksam wäre. Und sehr fraglich ist auch, ob die Konzentration an Spermidin, das mit der Nahrung aufgenommen wird, ausreicht gegen die Viren.

von Dr. med. Martina Frei,

veröffentlicht am 18.08.2020, angepasst am 27.10.2020


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